Rita Chin
Türkische Frauen, westdeutsche Feministinnen
Zum Genderdiskurs über muslimische Kulturunterschiede
Seit den 1950er-Jahren hat ein massiver Zustrom von ArbeitsmigrantInnen die demografische Zusammensetzung Europas drastisch verändert. Ob als GastarbeiterInnen oder als Angehörige ehemaliger Kolonien, als MigrantInnen aus Nordafrika, Südasien oder der Türkei stellten sie die ersten signifikanten muslimischen Gemeinden in Europa dar. Während des halben Jahrhunderts, seitdem diese Gruppen in Europa ansässig geworden sind, haben sich die nationalen Debatten über ihre Anwesenheit radikal verändert. Ganz allgemein gesagt konzentrierte sich die öffentliche Diskussion ursprünglich auf die Frage der wirtschaftlichen Arbeitskraft und die Auswirkungen der Beschäftigung von MigrantInnen für die Arbeiterklasse der jeweiligen Länder. Als Europa klar wurde, dass aus befristeten Arbeitskräften bleibende BewohnerInnen geworden waren, begann man im politischen Diskurs, die auf Nationalität basierenden kulturellen Unterschiede zu thematisieren. Seit den 1990er-Jahren liegt der Fokus auf der Religion (insbesondere auf dem Islam) als dem wichtigsten Merkmal, um diese MigrantInnen von den Gesellschaften, in denen sie leben, zu unterscheiden. Kurz gesagt, "Islamphobie" hat sich zur "bestimmenden Befindlichkeit des neuen Europa"[1] entwickelt.
Was die zeitgenössische europäische Debatte über Migration auszeichnet, ist ihr Fokus auf der muslimischen Frau als einer Schlüsselfigur, in der sich alle Einwände gegen islamisches Anderssein artikulieren. Unterschiede an geschlechtsspezifischen Parametern festzumachen, ist kein neues Phänomen. Zum Thema wurden die charakteristischen Gendernormen der NachkriegsmigrantInnen erstmals, als es in den frühen 1970er-Jahren zu einer beträchtlichen Anzahl von Familienzusammenführungen gekommen war. Erneut angefacht wurde die Debatte jedoch durch die jüngsten Erklärungen von Leuten wie der somalisch-niederländischen Politikerin Ayaan Hirsi und der türkisch-deutschen Soziologin Necla Kelek über den Platz der Frau im Islam.[2] Ihre höchst aufsehenerregenden Zeugnisse weiblicher Unterdrückung im Islam leisteten der Tendenz, Spannungen zwischen muslimischen MigrantInnen und EuropäerInnen als unauflösbar darzustellen, weiter Vorschub. Muslimische Geschlechterbeziehungen dienen mittlerweile als aufschlussreichstes Symptom des angeblich unerbittlichen Kampfes zwischen der europäischen Kultur und dem Islam.
Eben weil Genderpolitik eine so bedeutende Rolle spielt, wenn es darum geht, den derzeitigen Pessimismus im Hinblick auf MuslimInnen in Europa begrifflich abzustecken, ist es wichtig herauszufinden, wann und wie dieser Prozess begonnen hat, vor allem in Bezug auf die wechselnden nationalen Diskurse über Arbeitsmigration während der letzten 50 Jahre. In der Bundesrepublik Deutschland wurden diese Themen in den späten 1970er-Jahren zu einem wichtigen Gegenstand der öffentlichen Diskussion, als nämlich bundesdeutsche PolitikerInnen erstmals die langfristige Anwesenheit von GastarbeiterInnen anerkannten und eine Kampagne für deren Integration initiierten. Türkische Frauen wurden rasch zur zentralen Trope für die Darstellung der anscheinend unüberwindbaren kulturellen Unterschiede zwischen TürkInnen und Deutschen, und westdeutsche Feministinnen trugen entscheidend dazu bei, diese Denkweise zu fördern. In den frühen 1980ern bot die vermeintliche "Unterdrückung" und "Diskriminierung" türkischer Frauen den Beweis für die unüberbrückbare Kluft zwischen GastarbeiterInnen und Deutschen. Die Behandlung von Frauen wurde zur Nagelprobe für die Einschätzung der Integrationsfähigkeit von Türken in die freiheitlich demokratische Bundesrepublik.
Bezeichnenderweise verstärkten die bundesdeutschen Debatten über das Los türkischer Frauen die neuen Bedenken hinsichtlich des Islams als einer höchst problematischen, differenzierenden gesellschaftlichen Kraft, Bedenken, die in den frühen 1990er-Jahren nach und nach in ganz Europa laut wurden. Den deutschen Diskurs zum vermeintlichen Dilemma der türkischen Frauen etwas näher zu beleuchten, hilft uns nicht nur, die besonderen Bedingungen für die Integration von GastarbeiterInnen, wie sie von progressiven Linken in der Bundesrepublik dargelegt wurden, zu verstehen, es wirft überdies ein Licht auf die Entstehung eines allgemeineren europäischen Phänomens: die derzeitige Skepsis im Hinblick auf die Kompatibilität von MuslimInnen und westlicher Kultur. Studien und Reportagen Die Bundesrepublik Deutschland begann mit der Rekrutierung von GastarbeiterInnen, um den durch das Wirtschaftswunder hervorgerufenen Arbeitskräftemangel zu beheben. Als Erstes unterzeichnete sie 1955 ein Anwerbeabkommen mit Italien, im Laufe der 1960er-Jahre folgten weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal und Jugoslawien. Im Herbst 1964 überschritt die Anzahl der ausländischen Arbeitskräfte eine Million, fünf Jahre später hatte sich die Zahl fast verdoppelt. 1973, als die Bundesrepublik einen offiziellen Anwerbestopp erließ, hatte die Zahl beinahe 2,6 Millionen erreicht.[3]
Trotz der hohen Zahlen blieb die bundesdeutsche Bevölkerung während der aktiven Anwerbephase (1955-1973) von der Anwesenheit der GastarbeiterInnen weitgehend unbehelligt. Regierungschefs, politische EntscheidungsträgerInnen, ArbeitgeberInnen und ZeitungskommentatorInnen befürworteten energisch den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte als eine notwendige Strategie, um die wirtschaftliche Produktion auf hohem Niveau zu halten. Niemand hatte das Gefühl, ArbeitsmigrantInnen könnten irgendwann zu einem gesellschaftlichen Problem werden, weil alle, die mit der Anwerbung zu tun hatten, davon ausgingen, dass die ArbeitsmigrantInnen zwangsläufig wieder nach Hause zurückkehren würden. Diese Perspektive ergab sich teilweise schon aus den formalen Gegebenheiten des Programms. Die Verträge legten für alle Angeworbenen eine zweijährige Arbeitserlaubnis fest. Die Bundesanstalt für Arbeit bevorzugte junge, alleinstehende Männer oder solche, die willig waren, ihre Familien zu Hause zu lassen. Und die ArbeitgeberInnen stellten bescheidene Unterkünfte in Baracken zur Verfügung, meist weit entfernt vom Stadtzentrum und den Blicken der Deutschen. Diese Bedingungen gaben der Arbeitsmigration effektiv den Rahmen einer befristeten Notlösung zur Bekämpfung des heimischen Arbeitskräftemangels. Darüber hinaus definierte die Bundesrepublik ihre StaatsbürgerInnen als Menschen mit deutschem Blut, was ausländische Arbeitskräfte von vornherein von einer eventuellen Einbürgerung ausschloss. Diese Definition festigte die Botschaft, das Gastarbeiterprogramm sei kein Weg zur dauerhaften Einwanderung.
Dennoch veränderte im Laufe der 1970er-Jahre ein signifikanter wirtschaftlicher und demografischer Wandel die Ansichten der Deutschen zum Thema GastarbeiterInnen. 1973 wirkte sich die weltweite Ölkrise auch auf die westdeutsche Wirtschaft aus und veranlasste die Regierung, einen Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte zu erlassen. Entgegen aller Erwartungen förderte die Aussetzung des Gastarbeiterprogramms die Anreise der Ehefrauen und Kinder, da diese befürchteten, das Land könne seine Grenzen für immer dichtmachen. Gegen Ende des Jahrzehnts erreichte die Anzahl in der BRD lebender AusländerInnen vier Millionen. Dazu kam, dass die türkische Bevölkerung in Deutschland die ItalienerInnen Ende der 1960er-Jahre als die größte Gruppe ausländischer Arbeitskräfte abgelöst hatte. Mit dem weiteren Anstieg ihrer Zahl in den 1970er-Jahren wurden sie in der öffentlichen Diskussion über Arbeitsmigration und ihre Folgen bald zum Inbegriff des Gastarbeiters bzw. der Gastarbeiterin.
Aufgrund dieser Entwicklungen musste der deutsche Staat 1979 schließlich zugeben, dass die befristeten Arbeitskräfte de facto eingewandert waren. Die offizielle Anerkennung von GastarbeiterInnen als dauerhaft im Land Ansässige begünstigte wiederum staatlich geförderte Studien über die sozialen Bedingungen von ArbeitsmigrantInnen sowie über deren wirtschaftliche Situation und kulturelle Gepflogenheiten, was zuvor als völlig unnötig abgetan worden war. Die Tatsache, dass GastarbeiterInnen nicht mehr nur arbeitsmarktpolitisch interessant waren, sondern nun als legitimes und wichtiges innenpolitisches Thema betrachtet wurden, führte zu neuen politischen Maßnahmen für die Integration ausländischer Arbeitskräfte in die westdeutsche Gesellschaft.
Die veränderte Wahrnehmung von GastarbeiterInnen beeinflusste auch die Art und Weise, wie Genderthemen Eingang in die öffentliche Diskussion fanden. Während der Phase der aktiven Anwerbung (1955-1973) herrschte in der Vorstellung der Deutschen das Bild des männlichen Gastarbeiters vor. In Nachrichtensendungen wurden ausländische Männer durch detaillierte Auskünfte über ihre arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften beschrieben: Fleiß, Disziplin, Sparsamkeit, Bescheidenheit, Anpassungsfähigkeit und Arbeitseifer.[4] In Geschichten aus dem wahren Leben wiederum wurde über die Männlichkeit des "südländischen" (das heißt mediterranen) Arbeiters gemutmaßt, der als "leidenschaftlich" und "temperamentvoll"[5] galt sowie als körperlich attraktiv und sexuell potent.[6] Nach 1965 begann die Bundesrepublik aktiv damit, ausländische Frauen für die Textil-, Nahrungsmittel- und Elektronikindustrie anzuwerben. Diese neue Gruppe von Arbeiterinnen, in Verbindung mit einem drastischen Anstieg an Familienzusammenführungen, lenkte die Aufmerksamkeit in den 1970er-Jahren auf die Frauen.[7] Gegen Ende des Jahrzehnts stieg die Anzahl der deutschsprachigen Publikationen über Migrantinnen geradezu explosionsartig an.
Eine bedeutende Unterkategorie dieser Literatur waren staatlich geförderte und von WissenschaftlerInnen verfasste Studien. Diese kamen immer wieder zu dem Schluss, dass Migrantinnen in der Bundesrepublik unter enormer Isolation und Unterdrückung litten, und zwar viel akuter als ihre Ehemänner und Kinder.[8] Eine Studie von 1977 erläuterte, dass Frauen aus Italien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei in der Bundesrepublik in einer Art geschlechtsspezifischer räumlicher Segregation lebten.[9] Aufgrund der Ergebnisse der Studie erklärte der Autor, die quantitativen Unterschiede zwischen den Nationalitäten seien zu vernachlässigen, und schloss damit, dass die meisten dieser Frauen nur in Begleitung eines Mannes ausgehen könnten.[10]
Die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen hielten in Bezug auf die Isolation von Migrantinnen strukturelle Ursachen für wichtiger als fundamentale Kulturunterschiede. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass die strikte Trennung von Männer- und Frauenwelt den Türkinnen "Sicherheit" und "ein Gefühl der Zugehörigkeit" zu ihrem Heimatland vermittle.[11] Die geschlechtsspezifische Abgrenzung sicherte ihnen nicht nur eine klare Rolle und einen festen Platz innerhalb der Familienhierarchie zu, sie förderte zudem ein starkes Solidaritätsgefühl unter den Frauen. Anders gesagt war es nicht die kulturelle Praxis der Trennung von Männern und Frauen, die zur Isolation und Unterdrückung von Frauen führte. Vielmehr entwickelte sich diese Situation im Laufe der Migration. Der Umzug in die Bundesrepublik schnitt türkische Frauen von ihrer gewohnten dörflichen Umgebung ab und schuf Sprachbarrieren, welche jede Kommunikation jenseits des direkten Familienkreises quasi unmöglich machten. Die Umsiedlung in ein Land mit komplett anderen gesellschaftlichen Normen veranlasste überdies Väter oder Ehemänner dazu, ihre Bewegungsfreiheit viel drastischer einzuschränken als zu Hause.
In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre wurden die relativ nuancierten Bemühungen um kulturelles Verständnis von einer wiederkehrenden Trope der eingesperrten, hilflosen türkischen Frau überschattet. Hier konzentrierte man sich explizit auf TürkInnen als exemplarische GastarbeiterInnengruppe anstatt auf das gesamte Spektrum der MigrantInnen. Die Trope selbst war untrennbar verbunden mit der Entstehung eines neuen Kontexts für die GastarbeiterInnenfrage: das allseits beliebte Genre der "Reportage". Tatsächlich war es die Verlagerung der Repräsentation von GastarbeiterInnen (insbesondere von Diskussionen über Türkinnen) in den Bereich der leicht zugänglichen, journalistischen Abhandlung aktueller gesellschaftlicher Probleme, welche der Macht der neuen Trope Auftrieb gab.
Ein frühes Beispiel für eine Reportage über Türkinnen ist "Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatolien" von Andrea Baumgartner-Karabak and Gisela Landesberger, 1978 im Rowohlt Verlag erschienen. Der Umstand, dass ein populärer Verlag wie Rowohlt Interesse an türkischen Frauen bekundete, zeigt, dass die öffentliche Faszination für die Erfahrungen der MigrantInnen langsam den Mainstream erreicht hatte.[12] Das Buch erschien in der Rowohlt-Reihe "Frauen aktuell", die in überregionalen feministischen Zeitschriften wie "Courage" beworben wurde. Ein Beweis dafür, dass die Marketingabteilung von Rowohlt ein Publikum aus westdeutschen Frauen und SozialpädagogInnen witterte, das mit linken politischen Anliegen und Aktivismus auf Grassroots-Ebene sympathisierte.
Im Vorwort des Buchs erläutert die bekannte Feministin Susanne von Paczensky den wesentlichen Zweck des Projekts: "Es soll die Schwierigkeiten und Diskriminierungen der Türkinnen in der Bundesrepublik Deutschland sichtbar machen" und so Veränderung herbeiführen. "Wer ihnen helfen, mit ihnen arbeiten will", erklärt sie, "muß zunächst ihre Situation verstehen, und das kann nur geschehen, wenn man ihre Herkunft kennt."[13] Bis zu einem gewissen Grad operierte dieses Projekt innerhalb der allgemeinen Strukturen des linken Diskurses. Wie die wissenschaftlichen Studien richtete auch "Die verkauften Bräute" den Blick auf das Herkunftsland und insbesondere auf die gesellschaftlichen Gepflogenheiten in den Dörfern, um die Probleme zu diagnostizieren, mit denen Migrantinnen in Deutschland konfrontiert waren.[14] Ziel der wissenschaftlichen Arbeiten war es, die Auswirkungen des Migrationsprozesses auf Frauen durch den Vergleich gesellschaftlicher Praktiken in verschiedenen Kulturen und Kontexten zu erklären. Die Reportage hingegen konzentrierte sich einzig und allein auf die türkische Bevölkerung, ihre gesellschaftlichen Normen und ihr kulturelles Umfeld. Sie stellte den Islam als die eigentliche Ursache eines fundamentalen Problems innerhalb türkischer Geschlechterbeziehungen dar, verwies dabei auf die Diskriminierung der Frau im Koran und führte die negative Wirkung von Religion auf Vorstellungen von Moral und traditionelles Verhalten an.[15] Laut den Autorinnen Baumgartner-Karabak und Landesberger war das Leben der Frauen "vorgezeichnet", Entscheidungen wurden "für sie getroffen", und ihr "Platz in der Gesellschaft" war vollkommen festgelegt von den Männern um sie herum. Islamische Sitten und Gebräuche ließen laut dieser Sichtweise quasi keinen Raum für individuelle, weibliche Handlungsfreiheit.
Dabei ging es weniger darum, dörfliche Gepflogenheiten oder religiöse Vorschriften zu kritisieren, als deren Transfer nach Deutschland über die Arbeitsmigration zu kommentieren. Im Vorwort hält Paczensky die deutschen LeserInnen dazu an, die im Buch enthaltenen Informationen über Dorfkultur in Relation zum Verhalten der MigrantInnen in ihrer Mitte zu verstehen. "Als unverdauliche Fremdkörper leben sie nun in unseren Städten", erklärt sie. "Sie gehen demütig zwei Schritte hinter ihren Männern her, und selbst die eigenste Domäne der Frau, den Einkauf von Lebensmitteln oder Kleiderstoffen, überlassen sie ihren Männern oder Kindern. [Noch] viel weniger entsprechen sie emanzipierten Ansprüchen an eigene Lebensgestaltung."[16] Das Verhalten der Türkinnen hinderte sie also sogar daran, "traditionelle" weibliche Rollen zu übernehmen. Noch besorgniserregender war, dass die unterdrückte Existenz der Türkinnen die von den Feministinnen hochgehaltenen liberalen, demokratischen Werte bedrohte. Mit anderen Worten, die von den Türkinnen importierte islamische Kultur konterkarierte die historische Emanzipation der Europäerinnen.
Während diese kulturellen Praktiken Türkinnen als "fremd" und sogar "nicht anpassungsfähig" abstempelten, deutete Paczenskys Betonung der Veränderung an, dass sie womöglich anpassungsfähig gemacht würden. Das Ziel bestand darin, diese Frauen von Bräuchen und Gepflogenheiten zu befreien, die als unfreiheitlich oder gar zerstörerisch angesehen wurden. Bestimmte Verhaltensweisen mussten jedoch einfach abgelegt werden, damit eine Integration in die westdeutsche Gesellschaft erfolgreich sein konnte. Diese Haltung kam nicht unerwartet, waren doch die meisten Personen, die mit Migrantinnen arbeiteten, selbst ernannte Feministinnen, welche die Situation der türkischen Frau durch die Linse ihres eigenen Kampfes betrachteten. Frauen mit Kopftüchern, die ein paar Schritte hinter ihren Ehemännern hergingen und in ihrem Zuhause eingesperrt waren, untergruben die fundamentale Gleichberechtigung von Mann und Frau, für die westdeutsche Feministinnen so hart gekämpft hatten. Was also als Ausdruck der Sorge um türkische Frauen und als Wunsch, deren Probleme in der Bundesrepublik Deutschland zu ergründen, begonnen hatte, wurde bald zu einer Artikulation von Grenzen zwischen West und Ost, progressiver Politik und reaktionärer Tradition, feministischer Praxis und unreformiertem Patriarchat.
Die Sprache der Liberaldemokratie zu zitieren ermöglichte der Linken gleichzeitig eine explizitere Artikulation rassischer oder ethnischer Differenz. TürkInnen, so die Argumentation, drohten, reaktionäre Verhaltensweisen in ein Land wiedereinzuführen, das unermüdlich daran gearbeitet hatte, sich selbst in eine moderne, streng demokratische Gesellschaft zu verwandeln. Diese Fremden gefährdeten die Nation nicht so sehr im älteren Sinne der Ängste vor JüdInnen als HeroldInnen der Modernität, des Kapitalismus und des Liberalismus.[17] TürkInnen stellten das gegenteilige Problem dar. Man hatte den Eindruck, sie hielten an rückständigen Gepflogenheiten fest und untergruben somit die hart erkämpfte Emanzipation der Bundesrepublik von der Naziideologie, insbesondere in Bezug auf Frauenrechte, Ehe und Geschlechterbeziehungen.[18] So war es schließlich die Aufstellung solcher progressiver Behauptungen seitens der Linken - die in Sachen Nazirassismus doch so wachsam war –, die dazu führte, dass zwischen Deutschen und TürkInnen härtere Unterscheidungen getroffen wurden. Ironischerweise bereitete die offizielle Anerkennung von GastarbeiterInnen als De-facto-Eingewanderte nicht nur den Weg für weitreichende Integrationsbemühungen, sondern sie öffnete auch der Artikulation wesentlicher Unterschiede Tür und Tor, was unnötig gewesen war, solange man MigrantInnen als eindeutig außerhalb des deutschen Gesellschaftsgefüges stehend betrachtet hatte. Unterscheidungsmerkmale Seit Mitte der 1980er-Jahre hat eine Reihe weiterer Ereignisse Deutschlands Verhältnis zur türkischen Bevölkerung verschärft. Als der Kommunismus zu bröckeln begann, gewährte die Bundesrepublik ethnischen Deutschen aus Osteuropa, von denen die meisten geringe oder gar keine Kenntnisse der deutschen Sprache, Kultur oder Gepflogenheiten hatten, sehr rasch die deutsche Staatsbürgerschaft. Dennoch weigerte sie sich weiterhin, die Einbürgerungsgesetze zu ändern, um die rechtliche Eingliederung von TürkInnen, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen waren, zu vereinfachen. Der Fall der Berliner Mauer 1989 und die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990 führten überdies zu intensiven öffentlichen Debatten über die deutsche Identität. Doch waren TürkInnen von diesen Diskussionen weitgehend ausgeschlossen, und deutsche GesprächspartnerInnen schienen die Art und Weise, wie türkische MigrantInnen zwangsläufig an der Definition der deutschen Identität und der Zukunft der Nation beteiligt waren, gar nicht wahrzunehmen.[19] Der mit Sicherheit abschreckendste Ausdruck von Nationalgefühl war die Welle ausländerfeindlicher Gewalt, die bald über Ost- und Westdeutschland hinwegschwappen sollte. Von 1991 bis 1931 verübten RechtsextremistInnen unter den Rufen "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen" eine Reihe grausamer Anschläge. Die Übergriffe richteten sich sowohl gegen die seit Langem in Deutschland lebenden türkischen MitbürgerInnen wie auch gegen ungelernte Arbeitskräfte aus der ehemaligen DDR und Asylsuchende.
Vielleicht noch verstörender als die Gewalt war die Reaktion der Regierung. Regierungsbeamte und -beamtinnen warfen das gesamte Spektrum der Opfer in einen Topf mit der Bezeichnung "Ausländer".[20] Das Bundesinnenministerium charakterisierte die Vorfälle als "ausländerfeindlich" und schrieb die Gewaltausbrüche dem massiven Zustrom von Flüchtlingen zu.[21] Die einzige Lösung war, den Zustrom zu drosseln. Die innenpolitische Agenda der Bundesrepublik wurde beherrscht von der Strategie, Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, indem man die Flüchtlinge dafür verantwortlich machte; gleichzeitig verschärfte die Regierung beharrlich die liberale Asylgesetzgebung des Landes. Dies ermöglichte es den PolitikerInnen zudem, eine potenziell polarisierende Diskussion über die Mehrzahl der AusländerInnen, insbesondere die türkische Bevölkerung, zu vermeiden. Auf diese Weise wurde die Neueinschreibung von TürkInnen als "fremd" Teil einer größeren Anstrengung, die ungeahnten Probleme der Wiedervereinigung zu bewältigen.
Zur gleichen Zeit eröffnete der Vereinigungsprozess Europas eine europaweite Diskussion über kulturelle Zugehörigkeit, die Deutschlands Verständnis seiner türkischen Bevölkerung auf radikale Art und Weise in einen neuen Kontext rückte. Mit dem Zustrom legaler und illegaler MigrantInnen in die Staaten der Europäischen Union in den 1990er-Jahren konzentrierte sich die Aufmerksamkeit endlich darauf, eine gemeinsame Integrationspolitik zu entwickeln, woraufhin KritikerInnen die EU beschuldigten, eine "Festung Europa" errichten zu wollen. Begleitet wurde diese Debatte um politische Maßnahmen von Gesprächen über eine kollektive europäische Identität. So warf die Schaffung der EU tatsächlich implizit fundamentale Fragen darüber auf, wer als europäisch galt und wie eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Werte aussehen könnten. Auch wenn dieser Versuch, eine europäische Identität zu definieren, mitten in einer Art mentalem Belagerungszustand begann, dem Gefühl, von Flüchtlingen und illegal Eingewanderten überflutet zu werden, war er doch bedingt durch die Anwesenheit zahlenmäßig signifikanter ethnischer Minderheiten, die bereits in jeder größeren europäischen Metropole fest verwurzelt waren. So bildete sich ein gemeinsames Gefühl des Europäischseins, geprägt sowohl durch das Verhältnis zu den AusländerInnen, die von außen hineindrängten, wie auch denen, die drinnen als fremd wahrgenommen wurden.
Derlei Diskussionen über Migration und Identität ließen überdies in den EU-Staaten ein wachsendes Bewusstsein dafür entstehen, dass ihre Nachkriegspopulationen aus MigrantInnen sie alle vor ähnliche Herausforderungen stellten. Auf diese Weise wurde die deutsche Debatte über türkische Integration Teil einer breiter gefassten Diskussion über Migration in Europa. Doch veränderte der neue Kontext auch das Wesen des Diskurses: Der Impuls, nach gemeinsamen Mustern und Schwierigkeiten zu suchen, unterstrich die Tatsache, "dass Land für Land die sichtbarste Gruppe von MigrantInnen die Muslime waren"[22]. Dies traf nicht nur auf die ursprünglich nach dem Krieg gekommenen GastarbeiterInnen und Angehörigen der ehemaliger Kolonien zu, sondern auch auf die Wellen von Flüchtlingen und Asylsuchenden in den 1970er- und 1990er-Jahren. Selbst die Balkankrise spielte bosnische und albanische MuslimInnen gegen christliche SerbInnen und KroatInnen aus. Dies hatte zur Folge, dass MuslimInnen schnell zum wichtigsten Gegenbild wurden, vor dem die Definition des europäischen Selbst stattfand.
In Deutschland setzte sich die alte Gewohnheit, nach der die Integrationsfähigkeit der türkischen Bevölkerung am Los ihrer Frauen gemessen wurde, weiter fort, doch verlagerte sich der Fokus ab Mitte der 1990er-Jahre auf den muslimischen Status der türkischen Minderheit. Anders gesagt entwickelte sich die Religion im öffentlichen Diskurs zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal. Allerdings war das Erscheinen der Religion keine neue Entwicklung, vielmehr machte man sich eine alte Trope zunutze, um mit neuen historischen Gegebenheiten umgehen zu können. Man denke etwa an die Reaktion des angesehenen deutschen Historikers Hans-Ulrich Wehler auf die Aussicht, die muslimische Türkei in die EU aufzunehmen. Er stellte die Fähigkeit muslimischer TürkInnen infrage, an einer freiheitlichen Demokratie partizipieren zu können, indem er eine spektakuläre Szene beschrieb, in der sich Massen von AnatolierInnen in Erwartung der Öffnung des EU-Arbeitsmarkts an der Grenze versammelten.[23] Damit belebte Wehler eine der ältesten Tropen der Aufklärung, die der absoluten Differenz, er verglich 65 Millionen heutige TürkInnen mit den ottomanischen Horden vor den Toren Wiens.
Seit dem 11. September haben sich Bemühungen um eine gemeinsame europäische Identität zunehmend eines zivilisatorischen Registers bedient. Im Rahmen der Opposition gegen den Irakkrieg veröffentlichten der deutsche Philosoph Jürgen Habermas und sein französischer Kollege Jacques Derrida ein dringendes Plädoyer für eine gemeinsame europäische Vision auf der Grundlage des gemeinsamen Erbes der westlichen Kultur. Der Beitrag von Umberto Eco zu diesem Plädoyer beinhaltete ein Inventar der wichtigsten europäischen Merkmale, basierend auf dem Aufklärungsprojekt der Moderne.[24] Diese Initiative war ein unbefangenes Grenzziehungsmanöver, eine Übung in kultureller Demarkation. Dabei wurden bei der öffentlichen Nennung von Werten, Traditionen und Historizitäten die Trennungslinien zwischen Europa und den Vereinigten Staaten (dem vermeintlichen Ziel der Bemühungen) im Endeffekt weit weniger markiert als die zwischen Europa und seinen muslimischen Minderheiten. Die durch den 11. September und seine Folgen hervorgerufenen Ängste in puncto Sicherheit verschärften diese Tendenz nur noch. MuslimInnen und der Islam wurden explizit zur fundamentalen zeitgenössischen Bedrohung der europäischen Gesellschaft und Kultur gemacht. Kurz gesagt: "Auf dem Höhepunkt des Europäismus, als der sogenannte Krieg gegen den Terror ganz Europa zusammengeschweißt hatte, entwickelte sich ein nach innen gewandter, neu zentrierter paneuropäischer, antiislamischer Rassismus."[25]
Innerhalb dieser Tendenz, sich auf die unauflösbaren Unterschiede zwischen der europäischen Kultur und dem Islam zu fixieren, bilden Geschlechterbeziehungen auch weiterhin einen wichtigen Fokus. 2003 verabschiedete Frankreich das Stasigesetz, welches das Tragen auffälliger religiöser Symbole (insbesondere des Kopftuchs) in öffentlichen Schulen verbot. Durch das Kopftuchverbot stellte der französische Staat Musliminnen (und damit im Grunde alle Muslime) vor die "eindeutige" Wahl: keine Kompromisse mehr und keine Vermittlung - entweder der Islam oder die Republik.[26]
Zwei Jahre später verfasste eine Reihe von deutschen Bundesländern eigens für BewerberInnen aus mehrheitlich muslimischen Ländern einen StaatsbürgerInnentest. Zu den vorgeschlagenen Fragen gehörten: Finden Sie es akzeptabel, dass ein Mann seine Frau oder Tochter einsperrt, damit sie ihm in der Öffentlichkeit keine "Schande" macht? Was würden Sie tun, wenn Ihr Sohn Ihnen verkünden würde, er sei homosexuell und wolle mit seinem Freund zusammenleben? Um sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu qualifizieren, mussten BewerberInnen nicht nur die Gleichberechtigung von Mann und Frau gutheißen, sondern auch moderne sexuelle Normen.[27] Die Gleichberechtigung von Mann und Frau bzw. moderne Ansichten zum Thema Sexualität dienten gleichzeitig als Beweise für deutsche Toleranz und als wesentliche Indikatoren für muslimische Intoleranz.[28] Wie schon das Stasigesetz forderte der Test eine eindeutige Wahl: rückschrittlicher Islam oder fortschrittliche deutsche Staatsbürgerschaft.
Während der 1980er-Jahre äußerten Feministinnen ihre Besorgnis angesichts türkischer Geschlechterbeziehungen im Kontext einer Diskussion über die Parameter der Integration. Während diese linken Feministinnen inakzeptable Bräuche und Verhaltensweisen innerhalb der türkischen Kultur identifizierten, waren sie nichtsdestotrotz für kulturelle Reformen und die Koexistenz von TürkInnen und Deutschen. Jüngere Bemühungen, eine europäische Identität zu definieren, haben einen aufgeklärten Westen gegen einen antimodernen Islam aufgehetzt. Was sich in den letzten Jahren vor allem verändert hat, ist der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt des interkulturellen Engagements, ein Prozess, der in den 1980er- und 1990er-Jahren Wechselseitigkeit und gegenseitiges Anpassungsvermögen voraussetzte, heutzutage aber oftmals mit relativ festgelegten Prüfungen der Anpassungsfähigkeit auf einer Seite der kulturellen Grenze beginnt. In dieser Hinsicht ist die öffentliche Debatte über kulturelle Anpassung in Deutschland wie auch in Europa zunehmend festgefahren, unverhandelbar und eindirektional geworden.
Dieser Artikel geht auf einen Vortrag zurück, den ich auf einer von Judith Surkis organisierten Konferenz am Harvard University Center for German and European Studies gehalten habe. Ich danke Judith Surkis, Eric Fassin und Dilip Gaonkar für ihre aufschlussreichen Kommentare, aufgrund derer ich meine Argumentation weiter zugespitzt habe. Mein Dank geht auch an Jay Cook für sein konstruktives Feedback.
[1] Matti Bunzl, Anti-Semitism and Islamophobia. Hatreds Old and New in Europe. Chicago 2007, S. 4.
[2] Vgl. hierzu beispielsweise Hirsi Alis unverhohlene und radikale Statements, in denen sie das Problem des Islams mit Sexualität und Frauen zur Hauptursache für sein Unvermögen erklärt, die Lehren der Aufklärung zu übernehmen und sich kompatibler mit der europäischen Gesellschaft zu zeigen. Ayaan Hirsi Ali, The Caged Virgin. An Emancipation Proclamation for Women and Islam. New York 2008, S. 1-26. Necla Kelek ist die Autorin von "Die fremde Braut". Darin wird berichtet, wie auf dem Schwarzmarkt für Ehefrauen in der Türkei Frauen an türkische Männer in Deutschland verkauft werden. Siehe Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Köln 2005.
[3] Ray Rist, The Guestworkers of Germany. New York 1978, S. 83.
[4] Siehe beispielsweise: Gute Landarbeiter kosten Geld, in: Stuttgarter Nachrichten, 17. September 1955; Auf die kleinen Höfe wollte keiner, in: Frankfurter Rundschau, 29. Oktober 1955; Schwarzhandel mit Spaniern, in: Augsburger Allgemeine, 9. Juli 1960; Die Anwerbung spanischer Arbeiter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. August 1960. Alle zitiert in: Julia Woesthoff, Ambiguities of Antiracism: Representations of Foreign Laborers and the West German Media. 1955-1990. Dissertation, Michigan State University 2004, S. 65, 67-68.
[5] Giacomo Maturi, Aus einer anderen Welt, in: Die Welt, 8. August 1964, zitiert in: Woesthoff. S. 42-43.
[6] Karen Schönwälder, Einwanderung und ethnische Pluralität. Politische Entscheidungen und öffentliche Debatten in Großbritannien und der Bundesrepublik von den 1950er bis zu den 1970er Jahren. Essen 2001, S. 166.
[7] Zu Gastarbeiterinnen in Westdeutschland siehe: Monika Mattes, Zum Verhältnis von Migration und Geschlecht: Anwerbung und Beschäftigung von "Gastarbeiterinnen" in der Bundesrepublik 1960 bis 1973, in: Jan Motte, Rainer Ohliger und Anne von Oswald (Hg.), 50 Jahre Bundesrepublik, 50 Jahre Einwanderung. Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte. Frankfurt 1999, S. 285-309; Esra Erdem und Monika Mattes, Gendered Policies - Gendered Patterns. Female Labour Migration from Turkey to Germany from the 1960s to the 1990s, in: Rainer Ohliger, Karen Schönwälder, and Triadafilos Triadafilopoulos (Hg.), European Encounters. Migrants, Migration, and European Societies Since 1945. Burlington 2003, S. 167-85.
[8] Diese Beobachtung war das Ergebnis einer Studie über türkische Frauen, die an der Universität Bonn am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik durchgeführt und vom Bundesministerium für Erziehung finanziert wurde. Darüber berichtet wurde in der "Frankfurter Rundschau" vom 16. November 1979.
[9] Franz Brandt, Situationsanalyse nicht erwerbstätiger Ehefrauen ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn. Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, 1977, S. 180.
[10] Brandt, S. 181-182.
[11] Ute Welzel (Hg.), Situation der Ausländerinnen: Fachtagung am 19.-21. September 1980 in Berlin. Berlin: Institut für Zukunftsforschung, 1981, S. 17-19.
[12] Andere Bücher vergleichbarer Art über Migrantinnen waren beispielsweise Erika Fekete, Eine Chance für Fatma. Jeder von uns könnte mit türkischen Kindern arbeiten. Hamburg: Rowohlt 1982, und Gaby Franger, Wir haben es uns anders vorgestellt. Türkische Frauen in der Bundesrepublik. Frankfurt: Fischer 1984.
[13] Susanne von Paczensky, Frauen aus Anatolien. Vorwort, in: Andrea Baumgartner-Karabak und Gisela Landesberger, Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatolien. Hamburg 1978, S. 8.
[14] Die Buchautorinnen beschrieben die Erfahrungen türkischer Frauen anhand einer Reise ins ländliche Anatolien. Durch Tagebucheinträge und Bilder ihrer Reise erhält die Diskussion eine persönliche Note.
[15] Vgl. Baumgartner-Karabak und Landesberger, Die verkauften Bräute, S. 67-68.
[16] Paczensky, Frauen aus Anatolien, S. 7. Susanne von Paczensky gilt übrigens als eine der bedeutendsten Aktivistinnen der Nachkriegszeit. Als junge Frau war sie eine der wenigen Deutschen, denen es erlaubt war, den Nürnberger Prozessen beizuwohnen. Die Journalistin, Autorin und Soziologin Paczensky war in der Folge politisch sehr aktiv und Teil der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung. Ich führe dieses Zitat an um zu demonstrieren, dass das Unbehagen der Deutschen mit der Möglichkeit einer wechselseitigen Veränderung im Laufe des Integrationsprozesses nicht auf die Rechte allein beschränkt war.
[17] Für eine klassische Analyse dieser Denkweise über JüdInnen im kaiserlichen Deutschland vgl. Fritz Stern, Politics of Cultural Despair. Berkeley 1961.
[18] Dagmar Herzog vertritt die These, dass die sexuelle Unterdrückung eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung des Nazismus in Deutschland gespielt hat. Vgl. Herzog, Sex after Fascism. Memory and Morality in Twentieth Century Germany. Princeton 2005.
[19] Für eine Diskussion über die Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung auf die türkische Bevölkerung in Deutschland vgl. Rita Chin, The Guest Worker Question in Postwar Germany. Cambridge 2009, insbesondere das Nachwort.
[20] Vgl. Jenny B. White, Turks in the New Germany, in: American Anthropologist, 99 (4), Dezember 1997, S. 761-62 und Chin, The Guest Worker Question in Postwar Germany, S. 260-262.
[21] David Gow, Bonn Condemns Neo-Nazi Clashes, in: The Guardian. London, 24. September 1991. Fairerweise muss gesagt werden, dass diese Kategorisierung technisch korrekt war: Laut Gesetz galten die meisten TürkInnen immer noch als AusländerInnen. Dennoch muss das Versäumnis der Anerkennung eines qualitativen Unterschiedes zwischen auf Dauer in Deutschland lebenden TürkInnen und Asylsuchenden als signifikant gewertet werden.
[22] Geoff Eley, The Trouble with "Race". Migrancy, Cultural Difference, and the Remaking of Europe, in: Rita Chin, Heide Fehrenbach, Geoff Eley und Atina Grossmann, After the Nazi Racial State. Difference and Democracy in Germany and Europe. Michigan 2009, S. 160.
[23] Hans-Ulrich Wehler, Das Türkenproblem, in: Die Zeit, 12. September 2002.
[24] Vgl. Umberto Eco, An Uncertain Europe Between Rebirth and Decline, in: Daniel Levy, Max Pensky und John Torpey (Hg.), Old Europe, New Europe, Core Europe. Transatlantic Relations after the Iraq War. London 2005, S. 15. Die Intervention von Habermas und Derrida war Teil eines Projekts unter der Ägide von Habermas, durch das er zu öffentlichen Diskussionen über Europas Platz in der Welt nach dem Irakkrieg anregen wollte. Habermas bat eine Reihe führender europäischer Intellektueller, Artikel zu diesem Thema zu schreiben, welche am 31. Mai 2003 in führenden deutschen, französischen, italienischen, spanischen und schweizerischen Tageszeitungen veröffentlicht wurden.
[25] Eley, The Trouble with "Race", S. 160.
[26] Vgl. Joan Wallach Scott, Politics of the Veil. Princeton 2007, S. 35.
[27] Vgl. Éric Fassin, National Identities and Transnational Intimacies: Sexual Democracy and the Politics of Immigration in Europe, in: Public Culture, Vol. 22, Nr. 3, Herbst 2010.
[28] Yasemin Yildiz zeigt sehr deutlich die Entwicklung des jüngeren deutschen Diskurses über muslimische Frauen. Zunächst sollten die Deutschen "Toleranz" beweisen, mittlerweile sollen sie "keinerlei Toleranz" mehr beweisen, aber MuslimInnen werden als "intolerant" bezeichnet. Vgl. Yasemin Yildiz, Governing European Subjects. The Discourse of "Muslim" Women and the Production of Europeanness in Contemporary Germany, in: Cultural Critique 77.1 (2011). Eine wegbereitende Diskussion der Idee der Intoleranz im europäischen Liberalismus findet sich in: Wendy Brown, Regulating Aversion. Tolerance in the Age of Identity and Empire. Princeton 2006.
Published 2011-07-29
Original in English
Translation by Gaby Gehlen
First published in Springerin 2/2011 (German version); Eurozine (English version)
Contributed by Springerin
© Rita Chin / Springerin
© Eurozine
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